Die Ideen sind nicht metallene und glänzende Figuren, sondern eher ein wenig zittrige Makulaturen auf vagem Grund.
(Roland Barthes)
Ich habe mir in den letzten Jahren immer wieder die Frage gestellt, warum ich komponiere. Ganze Essays habe ich darüber verfasst, Notizbücher vollgeschrieben damit, nächtelang darüber gegrübelt und in ohnmächtiger Lähmung herumgelegen. Die Frage ist falsch gestellt. Besser gesagt, es handelt sich um eine Frage, die ich mir gar nicht stellen sollte, weil ich auf sie keine Antwort finden kann und werde. Ich komponiere, weil es so ist. Es ist so. Ich kann nichts dafür, es ist nicht meine Schuld und ich kann es auch nicht ändern, es wird immer dabei bleiben. Ich kann nur das Beste daraus machen und mich voll und ganz meiner Berufung widmen. Ich möchte in diesem kurzen Nachwort noch einmal zusammenfassen, worum es mir bei allem, was ich mache, wirklich geht. Denn nur so wird man verstehen können, warum ich so besessen und obsessiv suche und arbeite und auf der anderen Seite oft so niedergeschlagen von Ängsten und Zweifeln bin.
„Ich will schweigen können.“ Dieser Satz dient mir als Lebensmotto, als täglicher Ansporn und tägliche Selbstermahnung, denn in ihm liegt sowohl die Hoffnung als auch die Destruktion verborgen. Destruktiv ist der Satz dann, wenn man das Wollen in den Mittelpunkt rückt, das nicht Erreichte, das, was man sich mehr als alles andere wünscht. Was ich mir wünsche, ist nicht der Erfolg, das Berühmtsein, eine nicht mehr zu stoppende Flut an Preisen und Aufträgen. Wonach ich mich wirklich sehne, ist die Stille. Stille im Sinne von Perfektion, Antworten, Eindeutigkeit, Vollkommenheit. Im Sinne einer paradiesischen Erlösung der Welt, die es mir ermöglichen würde, schweigen zu können. Doch diese pathetische Utopie ist unerreichbar, sie ist nicht möglich, so lange es Leben gibt, nur im Tod, im nicht mehr Existieren, im erreichen der Vergänglichkeit, kann sie erfüllt werden, im Ende, jedoch nicht im Weg dorthin. Leben heißt Bewegung, Bewegung heißt klingen, sprechen, singen, rennen, schreiben, lachen, küssen und so weiter. Leben heißt die Abwesenheit der Stille.
Alles, was ich mache, geschieht daher aus der Notwendigkeit heraus, es nicht sein lassen zu können. Es ist ein Privileg, eine Herausforderung und eine Pflicht, die ich als Komponist, als Künstler, als Mensch zugeteilt bekommen habe. Ein Privileg, welches ich mit allen Menschen teile, die noch leben. Das Privileg dazu, noch etwas verändern zu können. All meine Methoden, Ideen, Strategien und Techniken sind nur Hilfsmittel, sind nur ein Teil eines großen Wachstums. Der Weg liegt vor mir und ich muss und möchte ihn weitergehen. Inspiration ist das, was mich antreibt. Inspiration ist das innere Bedürfnis danach, etwas in die Realität umzusetzen. Inspirierte Menschen schreiben Bücher und erschaffen Kunstwerke, sie sind politisch aktiv und ehrenamtlich tätig, sie sind hingebungsvoll in ihrem Beruf und ihrer Familie, sie denken nicht zuerst an sich, sondern zuerst an alle anderen, an die Gemeinschaft, die Gesellschaft, die gesamte Welt. Inspirierte Menschen sind genügsam und bescheiden, denn sie wissen, dass sie nur ein Teil des großen Ganzen sind. Inspirierte Menschen können etwas bewegen, sie können anderen Menschen helfen, sie berühren, sie begleiten, sie erfreuen, sie bestärken, sie verändern, sie zum Nachdenken anregen, sie inspirieren, sie lieben.
Deshalb habe ich mich auch immer als Handwerker verstanden und wollte nie ein Künstler werden, denn für mich stand schon immer die praktische Arbeit mit meinen Händen, das etwas anpacken und verändern im Mittelpunkt und keine Konzepte, Theorien oder sonstiges Geschwafel. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich aus einem ganz normalen handwerklichen Arbeiterhaushalt stamme, in meiner weiten Verwandtschaft und über mehrere Generationen hinweg einer der ersten Studenten bin und in meiner ländlichen Umgebung und früherem Umfeld nicht viel gehalten wurde von Lebenskünstlern und versponnenen Köpfen. Auch wenn ich vielleicht doch zu diesen Köpfen gehöre, die etwas anders ticken, so habe ich mich doch immer der praktischen, nutzerorientierten, ökonomischen Kunst näher gefühlt, bin zu tiefst verbunden und inspiriert von herausragenden angewandten Künstlern des Designs, denen es eben nicht um artifizielle, abgehobene, künstliche, intellektuelle Pseudowerke geht, sondern darum, auf die Menschen, ihre Bedürfnisse, Sinne und Erwartungen einzugehen und sie dabei immer wieder neu herauszufordern, zu überraschen und zu reizen. Ihnen geht es nicht um einen Selbstausdruck, sondern darum, kreative Lösungen zu finden, neue Strategien zu entwickeln und schöne Arbeiten zu gestalten. Der Mensch steht an erster Stelle, der Prozess der menschlichen Wahrnehmung und Psychologie am Ursprung ihrer Arbeit. Der Künstler, oder vielleicht besser, der Handwerker, verlässt sich ganz auf seine Inspiration, diese Mischung aus Mitgefühl, Würde und Demut, nur so kann er diese magische Verbindung zu seinen Mitmenschen aufbauen, diese so faszinieren und in seinen Bann ziehen und auf so eine direkte Art und Weise tief in ihren Herzen berühren und ihre Bedürfnisse befriedigen.
Das ist es, was der Humanismus bedeutet, das ist es, warum die Menschlichkeit der einzige Grund ist und sein kann, warum ich komponiere, warum ich arbeite, warum ich lebe. Und darin liegt auch das verborgen, was ich mir von Herzen wünsche, egal wie pathetisch dies alles klingt, im Angesicht von Depression, von Unglück, von Leid, von Schmerzen, von Verletzungen, von Pessimismus und so weiter. Es ist ein Kampf damit, ein Kampf für den Herzenswunsch, der immer schwerer wird, je weiter man seinen Weg gegangen ist, denn die Zweifel lassen nicht nach, die Ängste werden nie beruhigt sein. Aber die Erfahrung nimmt zu und mit ihr auch die Fülle an Inspirationen und, damit verbunden, die innere Stärke. „It’s so powerful inside of you that it upsets the intellect.” (Bunita Marcus).
Was ich mir wünsche ist, dass ich durch mein Arbeiten etwas verändern kann, denn so erreiche ich die Anerkennung, die ich mir wirklich wünsche und die nur in dem Bewusstsein von Erfüllung liegen kann. Erfüllung, die man empfindet, wenn man ein Kind umarmt, wenn man ein Konzert singt und das Leuchten in den Augen der Zuhörer sieht, wenn ein einzelner Mensch dein Werk betrachtet und für sich versteht und in sich bewegt, wenn sich das Leben anderer Menschen durch deine Hingabe verändert und zum Besseren wenden. Und zuletzt, was ich mir lange Zeit nicht eingestehen wollte, da ich Egoismus verabscheue und mich immer mit Selbsthass und Selbstzweifeln konfrontiert sah, auch, dass ich mich selbst anerkennen kann, dass ich selbst die Erfüllung empfinde, dass das, was ich mache das Richtige ist, das Notwendige, das was mich glücklich macht.
Dann brauche ich mich nicht um Antworten zu sorgen, sondern kann getrost Fragen stellen und aufwerfen, ich brauche keine Wahrheit zu suchen, sondern kann stattdessen Türen öffnen, neue Perspektiven und Möglichkeiten entdecken, ich brauche nicht modern zu sein, besonders, erfolgreich, mich selbst verwirklichen oder als ein großes Genie inszenieren, sondern es genügt, wenn die Menschen, die mir wichtig sind und vor allem auch ich selbst weiß, dass ich es wert bin zu leben und dass es wichtig ist, nicht klein beizugeben, nicht aufzugeben sondern geduldig und sorgsam immer weiter zu suchen, zu lernen, zu experimentieren, zu erleben, zu fühlen und zu danken. Denn es ist nicht nur mein Weg, es ist auch der Weg aller Menschen, die mich zu dem machen, der ich bin, denn nicht nur meine Handschrift ist untrennbar mit ihnen verwurzelt sondern meine ganze Persönlichkeit und mein ganzes Leben. Deshalb möchte ich allen danken, meiner Familie, meinen Freunden, meinen Mentoren, meinen Vorbildern, meinen Lehrern, meinen Bekannten, meinen Mitmenschen. Und all den Menschen, die mich verletzt, unterdrück, beneidet, ignoriert und ausgeschlossen haben, kann ich nur wünschen, dass es ihnen bald besser gehen wird, denn auch sie haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin und auch sie haben es verdient, dass sie ihren Weg zu einem inspirierten Leben finden werden. „Creativity and ego cannot go together. If you free yourself from the comparing and jealous mind, your creativity opens up endlessly. Just as water springs from a fountain, creativity springs from every moment.” (Jeong Kwan).
Dann kann ich singen, dann kann ich sprechen und dann brauche ich nicht zu schweigen.